die zweite nacht in varanasi war viel besser. durch die zusätzliche decke und noch mehr klamotten haben wir null gefroren. voll schön. und dann gabs auch noch heisses wasser aus der dusche. man wollte gar nicht mehr raus aus dem warmen, angenehmen wasserstrahl. nach dem öffnen der badezimmertür waberte eine weisse wolke durchs kalte zimmer. gegen neun ist es draussen schon wärmer als drinnen. auch an tag zwei ist es erst neblig, aber die sonnenstrahlen schaffen es heute noch schneller, sich durch den nebel zu kämpfen.
da die preise fürs essen im guesthouse verhältnismässig hoch sind haben wir uns fürs frühstück ein cafe in google rausgesucht. an dieser stelle ein kurzes lob für die google offline karten. wir können zwar immer nur ein ziel speichern, aber das funzt. also lassen wir uns ins aum-cafe navigieren. wieder nur touristen, aber eine schöne dachterrasse mit sonnenschein. ein träumchen. es gibt ausschließlich vegetarische speisen. wir lassen uns nieder und bestellen einen bunten teller mit deftigen und süssen speisen.
„blumenkohl und brokkoli hatte ich jetzt auch noch nie zum frühstück“, schmunzelt stefan und schiebt sich die gabel mit dem gemüseomelett in den mund. ich bin im rückstand mit meinen beiträgen, irgendwie klappt es hier nicht so wirklich mit dem schreiben. abends wenn wir zurück kommen ist es in unserem zimmer so kalt, da willste nicht mehr schreiben. da willste dich nur warm in den schlafsack unter die dicke decke kuscheln. aber auch tagsüber tue ich mich schwer. ob es nur an der kälte liegt? ich weiß es nicht… deshalb haben wir den laptop und die zeichensachen eingepackt und ich versuche ein bisschen was zu schreiben.
in indien ist es oft so, dass, sobald du fertig gegessen hast, die rechnung gebracht wird. in mumbai hat das seinen höhepunkt erreicht. wenn du unter 15 minuten mit allem fertig warst, musstest du keine steuern bezahlen. erstaunlich, wie schnell manche leute in kürzester zeit die grössten portionen verdrücken können. also zögern wir alles ein bisschen raus, bestellen noch ein stück schokokuchen, aber schweren herzens verlassen wir den schönen platz dann doch und geben unseren tisch frei. wir gehen zurück ins guest house und ich starte dort noch einen versuch. plötzlich höre ich ein jämmerliches jaulen und stimmen. als ich über die balkonbrüstung schaue sehe ich, wie sich einer der kleinen hundewelpen über die wiese schleppt. er humpelt, knickt ein. jault. vermutlich ist er von einem motorrad angefahren worden. oh mann, diese töne, das zerreisst einem schier das herz. aber gott sei dank war da ein kleines mädchen, die sich um ihn gekümmert hat. anfangs wollte er sich nicht helfen lassen, aber er merkte, dass man es gut mit ihm meint. die kleine hat ihren vater informiert und irgendwann kam jemand mit einer salbe und die verletzte pfote wurde bandagiert. mei, diese tierchen.
unschöne sache weil zu viel herz?
es war schon nachmittag als wir richtung ghats aufgebrochen sind. dieses mal sind wir etwas weiter gelaufen. insgesamt gibt es 84. aber je weiter man läuft, desto mehr trubel herrscht. auf „unserer“ seite ist es viel schöner. und ich hatte dort noch ein erlebnis, dass mich irgendwie runter gezogen hat. ein kleiner junge kam auf mich zu und malte mir ungefragt ein zeichen auf die stirn. ich wollte das nicht und sagte, er solle bitte aufhören. aber er malte weiter. im anschluss wollte er dann 100 rupie von uns. das ist für uns nicht viel. aber für indien viel zu viel. ich sagte ihm wahrheitsgemäß, dass wir kein kleingeld haben und er nicht einfach die menschen überrumpeln kann. zumal zu dem preis. das wäre nicht okay. dann wurde er sauer und das hat mich sehr geärgert. stefan meinte ich solle nicht diskutieren und weiter laufen. das tat ich dann und der junge lief hinter mir her und murmelte irgendwelche dinge in seinen hemdkragen. ich sagte ihm noch mal, dass ich das nicht gut finde. am ende fühle ich mich schlecht, weil ich nichts geben will und er sich auch, weil er nichts bekommt. ja und sowas beschäftigt mich dann eine ganze weile und ich mache mir ewig einen kopf. ein bisschen ärgere ich mich dann über mich selbst, warum ich sowas nicht schneller abhaken kann, zumal in indien ständig jemand geld von dir will. taschen werden einfach geschnappt und in den bus gehievt. die hand wird aufgehalten. für fotos posieren, aber dann die hand aufhalten. nichts tun. die hand wird aufgehalten. ich bin wohl immer ein bisschen zu weichherzig. andererseits macht das wohl meinen charakter aus. aber ich muss definitiv lernen, mich besser abzugrenzen. ich glaube, das ist so ein bisschen meine „aufgabe“ für diese lange reise.
wir begaben uns erneut ins labyrinth der altstadtgassen und landeten irgendwann auf der großen lauten hauptstrasse. der unschöne teil von varanasi. crazy, noisy, busy. genau das, was uns am norden so gar nicht gefällt. deshalb schnell ein gässchen zu den ghats gesucht und dort setzten wir uns vor einen kleinen tempelschrein.
kunterbunt umzingelt
eine art fremdenführer positioniert sich neben uns auf den stufen und vor uns ca. 40 inder die uns erwartungsfroh anschauen. noch denken wir, sie sind wegen dem schrein hier. bis die frauen anfangen mit uns zu reden. auf hindi. dann irgendwas mit foto, foto auf englisch. wir schauen uns nur fragend an, bis die redelsführerin direkt zu uns kommt und auf meine kamera tippt. wollen die jetzt auch, dass wir sie fotografieren und dann strecken sie die hand aus und wollen geld? nein, das wollen sie nicht. sie nimmt mich an der hand, ich muss stefan die kamera geben, sie stellt mich in die mitte der gruppe und wirft ihre schweren arm auf meine schulter. eine zweite frau fasst mich von links feste am handgelenk und los geht’s mit dem fotoshooting. stefan muss knipsen und jemand aus der gruppe macht handyfotos. anschliessend strahlen alle wie die honigkuchenpferdchen und ich muss so lachen und winke fröhlich in die gruppe. und alle winken zurück. ein irre lustiges bild! ein mann möchte noch ein selfie mit stefan und dann ziehen sie wild durcheinander redend weiter. wieder eine der skurrilen aber total schönen begegnungen.
nach dem abendessen gehen wir direkt nach hause und ziemlich schnell ins bett, da wir am nächsten morgen um sechs uhr eine bootsfahrt machen wollen. das heißt, um fünf uhr klingelt der wecker.
mystischer morgenspaziergang
leider ist auch am dritten morgen der nebel so dicht, dass man die hand nicht vor augen sieht. stefan ist skeptisch von wegen bootsfahrt. aber ich möchte auf jeden fall los, da die einwohner, die sich wirklich noch rituell im ganges waschen, früh morgens unterwegs sind.
der nebel hängt träge über den ghats und man sieht keine fünf meter weit. alles ist wie ausgestorben. fast schon gespenstisch. selten hört man irgendwo im grau sanfte stimmen oder das plätschern von wasser. wir laufen mit den händen in den taschen, die mützen tief ins gesicht gezogen von ghat zu ghat. vereinzelt sieht man wieder bunte decken auf dem kalten boden liegen. man kann nur erahnen, dass sich darunter menschen befinden und hoffen, dass sie die nacht heil überstanden haben. da wir einen termin ausgemacht haben, laufen wir zuerst zum vereinbarten treffpunkt. einfach nicht auftauchen ist ja nicht nett. das sieht der bootsmann wohl anders. weit und breit niemand zu sehen.
durch die bewegung ist uns nicht wirklich kalt und da wir jetzt schon wach sind, führen wir unseren morgenspaziergang fort. irgendwie mag ich die stimmung. es hat etwas mystisches. die alten gebäude, die teilweise verwinkelten treppenstufen, der nebel. und die ruhe. wir treffen auf drei kleine kinder, die zusammen mit ihrem lehrer meditieren. auf den steinernen vorsprüngen sieht man immer wieder abgebrannte feuerstellen in deren warmer asche sich die strassenhunde zusammen kringeln. clevere tierchen. am ghat der einäscherungszeremonien brennen wirklich kontinuierlich feuer. man erzählte uns, das täglich 200 – 300 tote in varanasi verbrannt werden. die verstorbenen werden auf allen wegen nach varanasi transportiert, um dort eingeäschert zu werden. es heißt, wer in varanasi verbrannt wird, bricht aus, aus dem kreislauf der wiedergeburt (samsara), ist direkt erlöst (moksha) und geht ins nirvana über. der zustand der vollkommenheit – das paradies. alles ist im gleichgewicht.
rituale leben
wir hören stimmen im nichts und können kurz darauf am ende der treppfenstufen die ersten badenden am ganges ausmachen. männer und frauen jeglichen alters entledigen sich ihrer kleidung und tauchen ein in das heilige wasser. jeder hat ein gefäss, mit dem das wasser geschöpft wird, um es dann über den körper rinnen zu lassen. kurz darauf tauchen sie ganz unter. eine alte frau hat alle utensilien in einem kleinem körbchen dabei. das baden im kalten wasser härtet bestimmt ab. wenn sie das seit jahren macht… das ritual der waschung dauert nicht wirklich lange. ich denke, dafür ist das wasser zu dieser jahreszeit auch einfach zu kalt. die frauen sind grundsätzlich mutiger als die männer, obwohl sie noch mehr kleider also stoff an sich tragen und das vielleicht noch unangenehmer ist. eine junge frau ist sichtlich stolz und lässt sich pitsche-patsche-nass auf den stufen fotografieren. vom fluss her kommen zwei motorboote angefahren, dicht an die treppe, damit die mitfahrer auch etwas sehen.
zwischen den badenden versucht ein betagter, alter mann seine schälchen mit kerzen und blumen zu verkaufen. heute leider mit wenig erfolg. so kämpft er sich mühselig zum schrein nach oben, um seine hände an den angezündeten kerzen zu wärmen. zwischenzeitlich wird es heller. irgendwo hinter dem grauweißen dickicht ist die sonne versteckt. wir stehen eine weile, schauen den indern zu und merken mit einem mal, wie die kälte uns in die knochen kriecht. wir müssen uns wieder bewegen. auf dem rückweg begegnen uns mehrere männer, die die plattformen und stufen fegen, zwei jogger, und eine taube, die etwas frisst, das wie gras aussieht. also marihuana. passend zur devise: flying high. ein paar meter weiter sehen wir einen mann, der herrlich ungelenkig und alleine ein paar yogaübungen macht. allerliebst. und euphorisch bei der sache. nasse klopfgeräusche hallen durch die luft. männer, die die wäschestücke schwungvoll aufs wasser schlagen.
nachbarschaftspflege
beim assi ghat ist schon etwas mehr betrieb. morgen-meditation und verschiedene yoga-atemübungen mit anleitung übers mikrofon. beachtlich wie viele daran teilnehmen, da es noch früh und sehr kalt ist. unter den teilnehmern ist auch eine kuh. ob sie wohl auch die schnellatmung beherrscht und mitsummt?
vor unserem guest house im kleinen lädchen dampft der chai-tee auf dem feuer. wir bestellen uns welchen und nehmen auf der kleinen holzbank platz. nach dem chai-tee am bahnhof in margao der zweitbeste in indien sind wir uns einig. die frau spricht kein englisch also zeigen wir auf den tee, halten den daumen nach oben und lächeln. die frau schaut immer ziemlich brummelig drein, aber jetzt lächelt sie auch. wir erstehen noch ein paar kekse, die wir mit einem schwarzen hund teilen. plötzlich, wie aus dem nichts, taucht der kopf eines kalbes neben uns auf und bewegt sich ziemlich aufdringlich richtung kekstüte. erschrocken aber lachend flüchten wir in den hauseingang. und dann packen wir uns noch mal ins bett. die sonne ist noch nicht da, um uns wieder aufzuwärmen.
sonnen- und drachenanbeter
nach dem frühstück in einem (eiskalten) cafe um die ecke beschließen wir, uns aufs dach des guest houses zu setzen, weil nur dort die sonne hin scheint. wir schnappen uns einen plastiktisch und stühle, platzieren alles in der mitte und genießen die wärmenden strahlen. irgendwann gesellt sich der sohn des hauses zu uns und übt auf seiner flöte. die perfekte untermalung und stimmung, um ein bisschen zu schreiben. stefan hat sich wieder von der muse küssen lassen und zeichnet. sein skizzenbuch füllt sich momentan tag um tag mit vielen schönen bildern. über unseren köpfen raschelt es: die drachen, die sich im wind wiegen. ich frage den sohn, ob dass das ganze jahr so ist und er erzählt uns, dass es hauptsächlich einen monat vor dem großen kite-festival in gujarat so intensiv ist. auf den dächern ist es eigentlich sogar verboten, weil schon viele kleine kinder beim drachensteigen lassen unvorsichtig waren und vom dach gefallen sind. da wir darüber reden bekommt er selbst lust, packt den eigenen drachen aus und lässt ihn steigen. er zeigt uns wie man lenkt, andere drachen fängt und kapert und übergibt auch stefan mal die schnur. schönes hobby. noch schöneres bild.
als wir merken, dass die sonne uns schon wieder verlassen will kommt mir die idee, doch noch eine bootstour zu machen. zum sonnenuntergang. es war noch nie so klar in den letzten tagen wie heute. wir erkennen sogar die bäume auf der gegenüberliegenden flussseite am horizont und sehen zum ersten mal die brücken in der ferne rechts und links über dem ganges. also laufen wir los und landen schließlich im boot von ashok, der uns einen angemessenen preis nennt. eine bootsfahrt auf dem ganges gehört doch irgendwie dazu. und die stimmung ist toll. ashok erzählt uns über die paläste der maharadschas, die alten tempel, über die verbrennungsghats und all die götter indiens, die sich kein mensch merken kann. stolz zeige ich ihm meine klitzekleine ganesha-figur, die ich in der altstadt entdeckt habe und die ich jetzt immer in meiner kameratasche mit mir herum trage. mein lieblingspalast (das titelbild des ersten varanasi-beitrags) steht leer. wie schade. da könnte man was tolles draus machen. zwischendurch verschandeln auch einige bausünden das schöne bild. seht ihr auf dem einen bild die vielen kleinen schwarzen flecken am himmel? das sind die drachen…
zum abschluss gibt es noch einmal typisch indisches abendessen. thali spezial mit vielen kleinen köstlichkeiten. die überraschung ist definitiv der süße rote karottenpudding (unter dem löffel). ich habe ihn anfangs gar nicht angerührt, weil die optik aussah, als wäre es tartar mit irgendeinem fett stück darin. dann kam der koch und meinte, das müssen wir probieren. gajar ka halwa mit roten karotten, die es nur saisonal gibt (wir haben in goa auch damit gekocht) und ich sage euch: soooooooo lecker. ungewöhnlich, aber unfassbar geil.
namaste incredible india
am nächsten tag klingelt der wecker wieder um fünf. um sechs holt uns unser lieblings-varanasi-taxifahrer suress für die fahrt zum flughafen ab. wieder nebel. man sieht nichts. und suress prophezeit uns schon im auto, dass sich der flug verspäten wird. und er sollte recht behalten. eigentlich sollten wir um 8:20 uhr fliegen. um ca. 13 uhr geht’s los. unseren anschlussflug nach nepal bzw. kathmandu haben wir natürlich verpasst. flieger weg. geld weg. höhere gewalt. klar. und dann sitzen wir ab 15 uhr nachmittags am flughafen. der nächste flug nach kathmandu geht erst wieder am nächsten morgen um 7:40 uhr. dafür haben wir uns neue tickets gekauft. übernachtet wird in der visitor’s lounge. das einzig gute: es gibt liegen. wir überlegen, wenn wir noch was essen gehen, ob wir sie mit unseren mikrofaser-handtüchern besetzen. oder mit schmutzwäsche ; )
immer optimistisch bleiben, denke ich und gähne in der weisen voraussicht, dass es eine lange nacht werden wird…
ein kleines fazit zu indien:
unsere highlights waren jodhpur, goa, fort kochi und varanasi. die städte im norden haben zwar viele schöne sehenswürdigkeiten, bieten aber sonst keinen anreiz, mehr zeit dort zu verbringen.
der inder an sich trägt gerne schnurbart (angeblich verschafft das mehr respekt), flip flop und teilweise orange gefärbtes haar. er mag süsses, selfies und hellhäutige touristen. die männer vergöttern ihre kinder und gehen sehr liebevoll mit ihnen um. das fand ich immer wieder schön mit anzusehen.
ein grossteil unserer zeit in indien bestand aus warten.
wir haben sehr viele tolle und hilfsbereite menschen kennengelernt!
zeitweise waren wir auch von vielen menschen und machenschaften genervt, was wir aber am ende alles unter erfahrungen abbuchen. deshalb der titel des beitrags: indien für fortgeschrittene.
indien ist auf jeden fall eine reise wert und ich bin froh, es gesehen und erlebt zu haben.